Ein großer Weihnachtsbaum....

Eigentlich erfuhr ich davon erst wegen einer Durchsage, ein Tag vor dem 2. Advent, im Kaufhaus. Da wurde darüber informiert, dass im 1. Obergeschoss ein Weihnachtsbaum stünde, an dem ganz viele Wunschzettel hängen würden, und zwar von Tafelkindern. Man bat die Menschen, sie möchten doch ein Geschenk aussuchen und das einem Kind zukommen lassen. Ich stutzte und machte mich auf die Suche. Da ich die Durchsage nicht ganz aufmerksam verfolgt hatte, musste ich nachfragen. Bei Verkäufer_innen Ratlosigkeit. Kolleg_innen werden gefragt. Ich bin beim Service. Ja, sagt mir dort ein netter älterer Herr, ich könne mit im 1. Obergeschoss vom Weihnachtsbaum einen Wunschzettel aussuchen. meist würden sich die Kinder ja Spielzeug wünschen. Dann sollte ich in die Spielzeugabteilung gehen und das kaufen. Man würde es dem Kind zukommen lassen.

Ich stehe vor einem sehr grossen Weihnachtsbaum. Der geht fast unter im Kaufhausglitzer, obwohl er doch wirklich hoch und groß ist. Er ist voll behängt mit Zetteln. Kaum Lücken. Ich schaue mir die Zettel an und bin gespannt auf die Spielzeug wünsche. Ich lesse immer wieder das Wort "Jacke", ich lese "Mantel". Wünsche von 7-jährigen und 10-jährigen Kindern - oder von deren Eltern? Also nicht Spielzeug sondern Kleidung - weil Kleidung fehlt. Ich finde Zettel von ganz Kleinen. 2-jährige Jungen und Mädchen. Die Eltern haben das wohl ausgefüllt. Jetzt lese ich von Spielzeug. Für diejenigen, die die Umstände, in denen sie aufwachsen, nicht verstehen. Ich schaue am Baum hinauf und hinunter. Meine Gedankan schweifen ab.

Ich denke an die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich. Ich denke an die Groko, die es sich in Berlin gut eingerichtet hat mit ihrem internen Gekungel um Macht und der Interessensgemeinschaft mit der Großindustrie. Ich denke an die SPD, die sich meilenweit von ihren Klient_innen entfernt hat, deren Vorsitzende bereit war, einen eigenen Wohnungsbauexperten dem Parteiengezänk zu opfern, obwohl viele Menschen händeringend eine Wohnung suchen. Ich denke an den Nürburgring und an Stuttgart 21. Ich denke daran, dass man sich im Kleinen verlassen fühlt. Ich denke an die Preiserhöhungen der Bundesbahn, die einfach so vom Staat als größtem Stakeholder hingenommen werden, obwohl die Zustände beim Reisen mit der Bahn inach meinen Erfahrungen immer schlimmer werden. ich denke an den Frankfurter Flughafen Fernbahnhof. Es war am 26. Oktober 2018, als ich mit meinem Sohn in einem vollbesetzten ICE stand und die Bahn mit einer Räumung des Zuges durch Bundespolizei drohte, wenn man nicht ausstiege. Der Zug war angeblich zu schwer. Der Nachbarzug war aber auch schon voll. Nur ein Gleis zwischen Frankfurt/M. und Köln...Alles viele kleine Sargnägel für die Demokratie. Futter für Unzufriedenheit. Futter für den Aufstieg von Rechtsaussen. Ein sicherlich zum Teil hausgemachtes Problem....

Ich stehe immer noch vor dem Baum. Jetzt schaue ich wieder bewußt auf die Wunschzettel und nehme mir einen. Ich komme mir schlecht vor. Ein Tropfen auf den heissen Stein. Der Baum müsste leergekauft werden. Ich stelle mir auf dem Heimweg vor, mit dem Mikro die Leute zum Kaufen aufzufordern. Der Baum verfolgt mich. Bis jetzt. Er bricht mir das Herz, wenn ich an ihn denke. Der Weihnachtsbaum des Kaufhauses wird für mich zum Baum der Anklage. Seltsam: Der Baum passt zur Jahreszeit und er ist nötig. Aber er sollte doch eigentlich nicht da sein.

Viele Grüße an alle,

Livia

 

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Kommentare

Kommentar von Johanna Arnold |

Ich habe mir den Text an Weihnachten durchgelesen, aber auch am 13.Januar 2019, also doch schon ziemlich weit weg vom Weihnachtshype, der angeblich so besinnlichen Zeit. Und was stellen wir fest. Richtig, Vor Weihnachten ist nach Weihnachten, Das ganze Getue, sorry, nichts anderes ist es für mich, dient nur einzig und allein dem Konsum. Mit ein bißchen Wohltat, damit das Gewissen seine Ruhe hat. Ich möchte jetzt gar nicht über die Ursachen, und schon gar nicht über unsere Politik reden. Das würde mich in Rage versetzen, weil Politik schlicht nicht mehr stattfindet, zumindest nicht für diejenigen, denen sie dienen sollte. Bleibt zu konstatieren, Weihnachten 2018 war eine verlogene, noch selten zuvor dagewesene Konsumveranstaltung, begleitet von Weihnachts- und Neujahrsansprachen von Politikern (das Wort "Volksvertreter" möchte ich in dem Zusammenhang nicht mehr aussprechen), die entweder überfordert oder schlichtweg uninteressiert sind. Das letztere wäre somit die Bankrotterklärung für die Demokratie.

Antwort von Livia Prüll

Vielen Dank für diesen Kommentar. Was will ich dem noch hinzufügen? Vielleicht den Punkt, dass ich meine Website auch politischen Kommentaren öffne, weil es die jetzige Zeit herausfordert. Der Berliner Stillstand macht es notwendig, dass jetzt so wichtige Umdenken in der Politik immer wieder einzufordern. Der Erhalt der Demokratie muss allen wichtig sein, vor allem aber haben wohl diejenigen ein Auge drauf - bzw. sollten das haben - die aufgrund von Diskriminierungen in starkem Masse vom Einhalten demokratischer Spielregeln abhängig sind. Also nochmal - vielen Dank für den Kommentar.

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