Die Diskussionen hören nicht auf....

...Vorbehalte gegen eine Selbstbestimmung transidenter Menschen grassieren weiter. Die Diskussionen gehen weiter. Jeder, der sich für das Thema auch nur halbwegs interessiert, hat es in den letzten beiden Monaten mitbekommen. Es handelt sich um den neuen Referentenentwurf zum Transsexuellengesetz (TSG), den das Bundesjustizministerium zusammen mit dem Bundesinnenministerium (BMI) vorgelegt hat. Der Widerstand zahlreicher Verbände war so massiv, dass die Kumpanei beider Ministerien nicht funktioniert hat. In einer Nacht und Nebel-Aktion wollte man klare Fakten schaffen: Nur 48 Stunde hatten Verbände Zeit zu reagieren. Ein geschickter Schachzug, mit dem eine potentielle Opposition aus der Bevölkerung ausgeschaltet wird. Denn der arbeitstätige Mensch kann kaum so schnell reagieren. Und auch für Selbsthilfegruppen und Verbände war es in diesem Fall nicht einfach, so schnell gemeinsame Stellungnahmen vorzulegen. Doch sie haben es geschafft. So dringlich war der Protest aus verständlichen Gründen für viele Aktivist_innen und für viele Unterstützer_innen in der Gesellschaft.

Noch kurz zum Inhalt: Der ist so, dass es einem die Sprache verschlägt. Vor allem ist es eine Dreistigkeit, vor dem Hintergrund der jahrelangen Diskussionen um die Abschaffung des Gesetzes eine - verkürzt gesagt - Verschärfung des bestehenden Gesetzes vorzulegen: Wer geglaubt hat, die absurde Begutachtung durch zwei Fachleute würde gestrichen, sieht sich getäuscht. Zwar soll nur noch eine Person beraten, aber diese Menschen behalten die Autorität betreffend das Ja oder Nein zur Personenstandsentscheidung. Und Berlin will die Kontrolle darüber haben, wer diese Personen sein sollen, indem man ein spezielles Beratergesetz entwerfen will. Man will Berater_innen sieben und der Verdacht liegt nahe, dass hier die Entscheidungsfindung kontrolliert werden soll. Doch es kommt noch härter: Das gerichtliche Verfahren wird verschärft: "Die neue Forderung Ehepartnern ein Mitspracherecht einzuräumen steht der Selbstbestimmung ebenso entgegen, wie eine Friststetzung von drei Jahren für eine erneute Antragstellung. Es fehlen außerdem eine Strafbewehrung beim Offenbarungsverbot und ein besonderer Diskriminierungsschutz in der belastenden Transitionsphase." (Pressemitteilung der dgti zum Referentenentwurf, 10.5.2019). Die ganze Aktion legt das Desaster der Großen Koalition dar: Alle Bemühungen um Hilfe für transidente Menschen durch das Bundesfamilienministerium wurden letztlich konterkariert. Die linke Hand hält sich anscheinend nicht daran, was die Rechte tut und umgekehrt. Es herrscht Durcheinander.

Die gravierendste Verschärfung stellt meines Erachtens die Befragung des Ehepartners dar. Das ist keine Formalität sondern ein Angriff auf transidente Familien. Es ist ein Angriff auf die Ehe, indem beide Ehepartner unter Druck gesetzt werden. Im Extremfall muss man sich scheiden lassen, um die Transition durchzuführen. Unbeachtet bleibt auch das Schicksal der Kinder aus der entsprechenden Ehe, die von dieser Regelung betroffen sind. Deren Schädigung wird sehenden Auges in Kauf genommen. Und das von einer Partei, nämlich der CSU, die die Verteidigung traditioneller Werte und hier der Kleinfamilie wie eine Monstranz vor sich herträgt. Der Vorgang zeigt die bigotte Doppelmoral dieser Partei, die auch die Zerstörung und Beschädigung von Eltern und Kindern in Kauf nimmt, um unerwünschte gesellschaftliche Gruppen in ihren Rechten und Möglichkeiten einzuschränken. Und ein schlimmer Umstand ist es in diesem Zusammenhang, dass die SPD sich an dieser Aktion beteiligt: Mit "Sozial" hat das nichts mehr zu tun. Jedes Mittel ist anscheinend recht, wenn es gilt, die eigene Macht zu sichern. Diese Partei, die in den letzten 20 Jahren ihre eigene Klientel verraten hat, verspielt die letzten Reste ihrer Glaubwürdigkeit.

Und in den Europawahlen ist das jetzt deutlich geworden. Im Kontext der bundesdeutschen Politik ist die schlechte und entwürdigende Behandlung der transidenten Menschen durch die regierenden Parteien mehr als nur ein Ereignis, dass eine kleine Minderheit betrifft. Denn die Behandlung der transidenten Menschen ist ein Brennglas, dass die grundsätzliche Entfremdung der Parteien zur Bevölkerung aufzeigt. Die regierenden Parteien waren überrascht von den schlechten Ergebnissen der Europawahl und den Widerstand gegen das "neue" TSG hatte man so auch nicht erwartet. In jahrelanger Hinterzimmer-Dealerei mit der Großindustrie hat man es verpasst, vorne aus dem Wohnzimmerfenster auf die Strasse zu schauen. Man weiss garnicht mehr, was die Bevölkerung denkt und möchte. Ein sachlich geschneidertes You-Tube-Video von der "Basis" ist schon in der Lage, für Aufregung und Hilflosigkeit zu sorgen.

Der Umgang mit dem TSG ist letztlich der Teil einer Symptomatik, die auf die Notwendigkeit eines Machtwechsels in Berlin verweist. Es wird endlich Zeit, dass diejenigen demokratischen Kräfte aus der Opposition an die Regierung kommen, die die Themen der Zeit angehen: die soziale Frage und die ökologische Krise.

Liebe Grüße an Alle,

Livia

 


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