Corona

.....und eines der schlimmsten Probleme ist die eigene Verunsicherung und die Beurteilung der Situation, in der man sich befindet. Der Versuch die Koordinaten festzumachen, in denen man sich bewegt. Wir brauchen die soziale Distanz, um Neuansteckungen zu verhindern. Und wir brauchen ein Aufhalten der Ansteckungsrate, um die Medizin reaktions- und funktionsfähig zu halten. Zeit gewinnen, um die Intensivmedizin auszurüsten. Und es ist wichtig und richtig, sich an die Vorgaben zu halten.

Aber - und das haben auch Expert_innen, wie der Virologe an der Berliner Charité, Christian Drosten, hellsichtig erkannt - wir können nicht über Monate in Quarantäne bleiben und das gesamte soziale Leben einfrieren bzw. abschaffen. Wir können die Vereinsamung vieler Menschen nicht hinnehmen. Und noch gravierender: Wir können den sozialen Tod von Menschen nicht hinnehmen. Denn Menschen, die beruflich in die Insolvenz, in das Aus getrieben werden, nehmen psychisch und physisch Schaden, sie werden krank. Erfahrungsgemäss begehen einige Suizid. Auch die Quarantäne erzeugt Tote und die müssen, wenn man eine Rechnung aufmacht, zu denjenigen hinzugezählt werden, die nicht mehr beatmet werden können. So ist die Herausforderung, zwischen Verharmlosung und Corona-Hyterie den differenzierenden Standpunkt zu gewinnen.

Trans*menschen leiden besonders in dieser Krise. Psychotherapeut_innen stehen nicht mehr live zur Verfügung. Geschlechtsangleichende Operationen werden abgesagt. Selbsthilfegruppen können nicht mehr tagen. Die Verfahren nach dem Transsexuellengesetz werden nicht mehr weiterverfolgt beziehungsweise auf Eis gelegt. Und das Schlimmste ist die Vereinsamung. Erst recht dann, wenn nichts mehr funktioniert, wenn man mit den Sorgen, mit dem Feststecken im Transitionsprozess glaubt, völlig alleine zu sein....

Aber das muss nicht sein: Sowohl der BVT* als auch die dgti bemühen sich unter Hochdruck, ihr ohnehin schon vorhandenes Beratungsangebot für transidente und auch intersexuelle Menschen zu verbessern und jetzt so auszubauen, wie viele Organisationen das tun: Sitzungen online und auch Online-Angebote, sich um Dienstleistungen wie beispielsweise Einkaufen zu kümmern. Und bevor das wirklich steht, gibt es immer noch das Telefon. Auch das Kompetenzzentrum Trans* und Diversität bemüht sich um eine Streuung von Informationen und auch den Ausbau der Beratung. Wir sind sehr bald mit einer Website online. Ich selbst stehe auch für Beratung zur Verfügung und bin unter livia.pruell@gmx.de und auch pruell@uni-mainz.de erreichbar, um Telefontermine auszumachen. Schaut auf die Website der dgti, um die verschiedenen Arbeitskreise in den einzelnen Bundesländern auszumachen. Und schliesst Euch als Selbsthilfegruppen online zusammen - und helft Euch gegenseitig!

Es ist sehr wichtig, in dieser Situation nicht zu verzweifeln! Der berühmte Satz "Angst und Panik sind keine guten Ratgeber" gilt auch in dieser Situation! Eine andere wichtige Botschaft ist es, jetzt in dieser Zeit zumindest Streit und Zwist in der Szene beiseite zu schieben und sich auf die Bewältigung der Situation zu konzentrieren. Wir sollten zusammenstehen - egal, welche unterschiedlchen Antworten wir darauf gefunden haben, wie und als was wir uns fühlen - und egal, ob wir vielleicht einmal von der einen oder dem anderen Person missverstanden wurden. Wir müssen zusammenhalten! Wir müssen schauen, dass wir unsere eigenen Strukturen halten beziehungsweise für den Gebrauch der jetzigen Krisensituation flexibel umgestalten.

Es wird ein "Danach" geben, wie auch immer es aussehen wird. Und es wird nicht mehr so sein, wie vorher. Bei uns hat die Erfahrung dann sicher Spuren hinterlassen. Aber kennen wir nicht schon Krisen in unserem eigenen Leben? Haben wir denn nicht selbst schon so viel bewältigt, indem wir unsere eigene Transition angegangen sind? Haben wir nicht viel Kraft, auf die wir uns besinnen können? Wir können uns auf unsere Kraft verlassen und das "Danach" ist auch eine Chance. Wir können jetzt Pläne machen und im "Danach" an Reformen dieser Gesellschaft mitwirken, an einer noch effektiveren, noch konsequenteren Diversitätsgesellschaft.

Deswegen: Den Kopf nicht hängen lassen, sondern Durchstarten. In den eigenen vier Wänden, in der Besinnung auf sich Selbst, in der Besinnung auf das Wesentliche, in der Nutzung der eigenen Ressourcen....

Allen Menschen in diesem Land wünsche ich viel Gesundheit, viel Kraft zum Durchhalten ... und viel Glück!

Liebe Grüße,

Livia

 

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