Das Dritte Geschlecht

Die Diskussion im Deutschlandfunk zwischen Gesa Lindemann (Soziologin), Kim Schicklang (Journalistin) und Norbert Geis (CSU) war sehr interessant. Und es ist sehr gut, dass der Deutschlandfunk diesem Thema in seiner Rubrik "Kontrovers" so viel Raum gab, nämlich denjenigen Raum, den das Thema verdient.

Aber die Diskussion zerfaserte zusehends. Die Erwähnung von "Intersexualität" und "Transsexualtät"ging durcheinander, ohne das je eine kurze, prägnante Defintition gegeben worden wäre. Dann diskutierte man wieder die leidige Toilettenfrage, die Bezeichnungen "Frau" und "Mann" als kulturelle Werte. Wieder einmal schien am Ende alles Liebgewonnene bedroht und die Erwähnung des nationalsozialistischen Umgangs mit Menschen "dazwischen" liess die Emotionen hochschwappen. Und dazwischen immer wieder Einlagen, die auf die Kernfrage zurückkamen: Was bedeutet die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) betreffend das "Dritte Geschlecht"? Ganz am Ende ging es einem so, wie einem Kollegen von mir, der einmal nach einer Tagung gefragt wurde, was diese ihm gebracht hätte, und der dann antwortete: "Ich bin so verwirrt wie vorher, aber auf einem höheren Niveau".

Was also bedeutet also die Forderung des BVG? Es ist ein wichtiges Zeichen! Warum? Wir wissen mittlerweile, dass die Natur sich in ihrem Treiben nicht nach unseren gesellschaftspolitischen Vorlieben richtet. Die Natur ist ein ewiger Baukasten, sie experimentiert. Und sie experimentiert auch mit den Geschlechtern. So sind es teilweise nur sehr diskrete Veränderungen, die massive Auswirkung auf die seelische und körperliche Manifestation, auf die "Performanz" von Geschlecht haben. Und Körper und Gehirn können sich hier jeweils unterschiedlich entwickeln (siehe die Ergebnisse von Mark Solms, Milton Diamond, Dick F. Swaab und anderen). So gibt es intersexuelle Menschen, also solche deren Körper sich bei der Geburt nicht streng nach "männlich" oder "weiblich" zuordnen lässt und es gibt transidente (früher "transsexuelle") Menschen, die sich vom Körper her bei der Geburt zuordnen lassen, bei denen aber quasi die Geschlechtsausprägung im Gehirn nicht dazupasst: Ihr Körperbild und Ihr Gefühlsleben gehen in eine andere Richtung. Falsch und krank ist bei beiden Gruppen garnichts, nicht die Körper, nicht das Seelenleben. Nur: Es passt eben nicht zusammen bzw. eine Geschlechtsidentität muss gefunden werden. Im Folgenden geht es dann darum, dass die betreffenden Menschen ihre Kernidentität, die sie sich selber zuschreiben, ausleben können.

Wir aber kleben am bipolaren Geschlechterbild, dass nur Mann und Frau kennt. Warum? Die starre Dichotomie von "Mann" und "Frau" mit seiner fixierten Rollenzuschreibung ist ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts, wie ich auch in meinem Buch "Trans* im Glück. Geschlechtsangleichung als Chance..." (siehe auf dieser Website unter Media) beschrieben habe. Dieses Konstrukt schleppen wir bis heute mit uns herum. Ich kann an dieser Stelle nicht mehr dazu schreiben. Ich belasse es bei der Zitation von Milton Diamond, einem Neurobiologen, der sich mit dem Thema Transidentität befasst. Er beschrieb den Sachverhalt so: "Nature loves variety. Unfortunately, society hates it." - "Die Natur liebt die Variationen. Unglücklicherweise hasst die Gesellschaft dieselben."

Dem trägt die Forderung des BVG Rechnung. Es ist eine Aufforderung an die Gesellschaft zur Toleranz, zum Ernst-machen im Umsetzen von Erkenntnissen, die wir gewonnen haben. Das "dritte Geschelcht" heisst erst einmal, dass die oben beschriebenen Menschen Ernst genommen werden. Dazu gehört nicht zuletzt auch - und das ist in der Diskussion im Deutschlandfunk viel zu kurz gekommen - dass die Umsetzung ihres gefühlten bzw. gewünschten Geschlechtes für diese Menschen eine existentielle Notwendigkeit ist, dass sie dies teilweise unter großen Opfern tun, dass sie viele Schwierigkeiten haben und auch ebensolche in Kauf nehmen. Es ist in der Sendung so nicht gesagt worden, aber es muss explizit gemacht werden: Es geht hier nicht um Verkleidungsspass oder eine Marotte. Es geht nicht um eine Beliebigkeit der Auswahl. Es ist bitterer Ernst. Es gibt "Betroffene", die sich das Leben nehmen, weil ihre Umgebung sie verspottet, statt sie zu unterstützen.

Aber eine solche Unterstützung macht gleich Angst. Zunächst einmal Angst vor zuvielen Toiletten, dann am Ende Angst vor dem Verlust von "Frau" und "Mann" und von einer Kleinfamilie, deren platonische Idee, also deren idealtypische Gestalt, es nie gab. Ich frage zurück: Wie können Menschen, von denen es so wenige gibt, die geschlechtsbezogenen Identitätszuschreibungen der Masse in Frage stellen? Die meisten Menschen würden nie in Frage stellen, dass sie "Mann" oder "Frau" sind. Sie sind es - und das ist ok so. Es geht nicht darum, ihnen dies zu nehmen sondern es geht umgekehrt darum, dass diese Menschen das demokratische Bewußtsein entwickeln, den intersexuellen und transidenten Menschen dasselbe Recht zuzugestehen, das sie sich selbst zugestehen. Und es geht ferner darum, die intersexuellen und transidenten Menschen im Berufs- und Alltagsleben nicht zu behindern und sie nicht zu diskriminieren. Die genannten Gruppierungen umfassen vielleicht 1 von 1000 Bundesbürgern (die Statistiken sind unsicher). Pro Bundesland beantragen ca. 70 transidente Personen im Jahr eine Personenstandsänderung. Bringt das die Kleinfamilie in Gefahr? Und die Kategorien "Mann" und "Frau"? Sicherlich nicht.

Das BVG stubbst die deutsche Gesellschaft an, damit sie das demokratische Miteinander der Geschlechter endlich diskutiert und versucht, Lösungen zu finden. Warum nicht eine Einheitstoilette, auf der sich alle wiederfinden können? Warum nicht ein Personalausweis ohne Geschlechtseintrag, den alle akzeptieren können? Ich selbst bin gespannt, welche Lösungen gefunden werden. Doch es muss etwas getan werden. Die Diskussion im Deutschlandfunk, inklusive der zugeschalteten Zuhörer, hat gezeigt, dass noch Informationsbedarf zum Thema in der Gesellschaft existiert. Deswegen sind solche Sendungen wichtig. Und sie sollten auch dazu anregen, einen Blick auf die Lebensverhältnisse intersexueller und transsexueller Menschen zu werfen. Sie brauchen Zuwendung. Sie brauchen Beratung. Das ist ein Dienst nicht nur an diesen Menschen sondern auch an unserer Demokratie.

Es grüßt Euch alle,

Livia

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